20100224

Mit dem Kajak von Giurgiu nach Sulina 2008

Reisetagebuch Donaureise 2008


Im Frühjahr 2007 habe ich mit meinem Einerkajak die Donau bis Ruse in Bulgarien befahren. Im Jahr 2008 mache ich mich auf, das restliche Teilstück dieses großen Stromes vom Boot aus zu entdecken. Diesmal soll die Fahrt ausschließlich durch Rumänien gehen. Als Einsetzstelle habe ich Giurgiu gewählt, weil diese Stadt genau gegenüber Ruse liegt, dem Zielpunkt meiner letzten Reise.

Pelikane im Donaudelta


Karte der Donau von Giurgiu bis Sulina
(Google Maps)



Samstag, 17. 5.

6.00 Uhr Abfahrt Leonding mit dem Auto, vollgepackt mit dem zerlegten Kajak und meiner Ausrüstung. Dass ich die Grenze nach Ungarn überschritten habe, merke ich nur daran, dass ich die ungarische Autobahnvignette kaufen muss. Dann flüssige Fahrt bis Szeged. Es folgt ein langer Stau. Viele LKWs. Auch der Grenzübertritt nach Rumänien ist unproblematisch. Ich kaufe auch hier Straßenmautvignetten für zwei Monate: 16 Euro. Die Straße nach Comloșu Mic, im rumänischen Banat, wo ich bei einer Freundin meiner Mutter Zwischenstation machen werde, ist sehr schlecht. Die einheimischen Autofahrer rasen trotzdem. 16.30 Uhr (rumänischer Zeit = GMT + 2), komme ich an.

Sonntag, 18. 5.

Ich verbringe den Tag bei der Bekannten meiner Mutter und spreche ein bisschen mit Dorfbewohnern der deutschen Minderheit. Meine Mutter war nach ihrer Eheschließung vor dem Zweiten Weltkrieg aus der Kleinstadt Jimbolia (Hatzfeld), in das acht Kilometer nördlich gelegene Comloșu Mic (deutscher Name des Ortes war "Ostern") gezogen und hatte bis zu ihrer Flucht vor der russischen Front hier gewohnt. Daher kennt sie fast alle Leute der deutschen Minderheit, die noch hier leben.

Montag, 19. 5.

Fahrt nach Calafat, wo ich eine Bekannte treffen will, die ich letztes Jahr bei meiner Donaupaddelreise kennengelernt habe und die mir viele Informationen über Bulgarien vermittelt hat. Aufbruch um 5.45 Uhr. Die Straßen sind teilweise extrem schlecht. Überall gibt es Straßenarbeiten. Um 13.00 Uhr finde ich in Calafat ein Hotel (Casa Italia). Für 17.00 Uhr habe ich an der Fährstation, die gleichzeitig auch Grenzübergang zum gegenüber liegenden Vidin in Bulgarien ist, wo Katia lebt, das Treffen mit ihr vereinbart. Sie wird nach der Arbeit mit der Fähre von Vidin herüberkommen. Kurz nach 17.00 Uhr treffen wir uns an der Grenzstation, beim Anlegeplatz der Fähre. Wir suchen mit dem Auto ein Restaurant irgendwo an der Donau, können aber keines finden. Schließlich entscheiden wir uns für ein Abendessen in meinem Hotel. Wir frischen Erinnerungen auf, erzählen uns viel über unsere Familien und freuen uns darüber, dass es mit dem Treffen geklappt hat. Gegen 23.00 Uhr bringe ich sie zur Fähre zurück. An der Fährstation mache ich in stockdunkler Nacht noch ein Foto. Blitzen wird mir durch den Grenzbeamten aus irgend einem verborgenen Grund verboten, also mache ich eine Langzeitaufnahme, die sogar etwas geworden ist!

Dienstag, 20. 5.

Frühstück im Hotel um ca. 7.30 Uhr. Dann Aufbruch nach Giurgiu. Ich genieße die interessante Fahrt auf der Straße parallel zur Donau, durch viele Dörfer. In Giurgiu habe ich eine Adresse, wo ich mein Auto während der Zeit meiner Paddelfahrt abstellen kann. Es stellt sich heraus, dass sie nicht ganz einfach zu finden ist. Es gelingt mir schließlich mit Hilfe zweier Polizisten, die mit ihrem Auto vor mir herfahren. Ein Verwandter der alten Dame, der das Haus gehört, bringt mich mit Boot und Gepäck zu einem Nebenarm der Donau. Da ich meine Sandalen vergessen habe, fährt er nochmals zurück und holt sie mir aus meinem Auto. Dann vergessen wir beide, dass er mir meinen Autoschlüssel wieder zurückgibt. Ich paddle noch bis zu einer Insel nach der Brücke, die, was ich erst später realisiere, zu Bulgarien gehört. Illegaler Grenzübertritt zwischen zwei Nicht-Schengen-EU-Staaten! Gegen 19.00 Uhr liege ich wegen vieler Gelsen schon im Zelt. Ich schicke ein sms an meine Frau, damit sie weiß, dass ich jetzt am Wasser bin.

In Giurgiu wollte ich heuer deshalb einsetzen weil ich im Vorjahr eine Donau-Paddeltour im genau gegenüberliegenden Ruse beendet habe und heuer die "restliche" Donau per Boot erkunden will.

Mittwoch, 21. 5.

Aufbruch um 7.15 Uhr. Rast nach 32 Kilometern, wo ich die Packordnung so verändere, dass ich bequemer sitzen kann. Weitere Rast bei Stromkilometer 434, gegenüber einer Stadt in Bulgarien. Um 15.00 Uhr finde ich einen schönen, schattigen Platz auf einer Insel bei Stromkilometer 426, bei Olenția. Bevor ein Gewitter aufzieht, kann ich noch mein Zelt aufbauen. Um 16.45 Uhr sitze ich unter der Plane. Draußen tröpfelt es. Kein Wind.

Donnerstag, 22. 5.

Es hat die ganze Nacht geregnet. Jetzt, 8.10 Uhr, donnert es noch immer. Im Zelt ist es warm und angenehm. Ich höre mir auf Kurzwelle die Ö1 Nachrichten aus Österreich an. Als der Regen nachlässt fahre ich los.

Bei Stromkilometer 400 mache ich ein Notcamp wegen eines Gewitters. Es ist 12.45 Uhr und ich würde heute gerne noch weiterfahren. Um 13.30 Uhr hat der Regen schließlich aufgehört, aber es ist ein Sturm aufgekommen. Weil der Platz auf der Insel wunderschön ist, beschließe ich, einen Rasttag zu machen, obwohl der Wind gegen 15.30 Uhr aufhört und die Sonne herauskommt. Ich mache Körperpflege und lade mit dem Solargerät die Akkus von Handy, GPS und Fotoapparat auf. Ich bin heute nur ca. 25 Kilometer gefahren. Bei einem Spaziergang auf der riesigen Sandbank meiner Insel sehe ich etwa zwei Meter von mir entfernt eine Schlange. Sie ist ca. 25 cm lang, 1 cm dick, mit einem Kopf von ca. 2 cm Durchmesser. Farbe graubraun.

Freitag, 23. 5.

Heute bin ich erst um 8.00 Uhr aufgebrochen. Der Himmel ist bedeckt. Um 11.30 Uhr erreiche ich die Höhe von Silistra, Bulgarien. Im Restaurant auf der rumänischen Seite habe ich Trinkwasser geholt und zu Mittag gegessen. Sehr nette und freundliche Grenzbeamte. Einer wollte mir sein privates Mineralwasser geben, das war aber zu wenig, weil ich mindestens sechs Liter benötige. Um 13.30 Uhr mache ich bei Stromkilometer 356 auf einer Sandbank Rast. Schwarze Wolken stehen am Himmel. Ich entschließe mich trotzdem zur Weiterfahrt, was zu einem „Stehbiwak” in Badehose und Anorak auf einer Insel während eines heftigen, dreißigminütigen Gewitters führt. Ich lehne an einer dicken Weide, die von einer pelzigen Pflanzenschicht überwuchert ist. Im Sturm bewegt sich die Weide ganz leicht, wie ein Lebewesen. Ich fühle mich richtig geschützt. Anschließend geht es weiter. Heute habe ich mindestens 60 Kilometer angepeilt, fahre aber nur 59, weil ich bei Stromkilometer 335 einen schönen Zeltplatz finde. Die Donau ist hier recht breit. Es gibt immer wieder Nebenarme und Inseln, was es mir nicht leicht macht, mich zu orientieren.

Samstag, 24. 5.

Um 5.00 Uhr ist der Himmel ziemlich bedeckt. Die Temperatur beträgt 18° C. Ich warte vorläufig ab. Das Wetter entwickelt sich schließlich gut und ich breche um 6.10 Uhr auf. Herrliche Landschaft. Schade, dass ich das meiner Frau nicht zeigen kann. Als ich in Raosva vorbeikomme, beschließe ich Lebensmittel einzukaufen, was Waten durch ca. 100 Meter Schlamm bis zur Dorfstraße bedeutet. Ich bin bei Stromkilometer 315. Anschließend, in Cernavoda, fahre ich unter einer Straßen- und Eisenbahnbrücke durch. Hier sehe ich das Schubschiff „Krems”, das österreichisch beflaggt ist. Leider sehe ich keine Besatzung. Wäre nett gewesen, Landsleute zu treffen. Hier sehe ich auch das Passagierschiff A'Rosa mit deutscher Flagge. Dann kommen kleine Dörfer. Viele Leute grüßen vom Ufer. Einmal schneidet mir ein Ruderboot mit zwei Männern ganz offensichtlich den Weg ab. Die Sache wirkt eher bedrohlich und nicht wie eine Begrüßung. Ich fahre schließlich hinter ihrem Boot vorbei und halte Abstand. Ich weiß, dass ich mit meinem Kajak um einiges schneller bin als das große Ruderboot. Wahrscheinlich wollten die beiden nur plauschen, sie hätten es aber anders anfangen müssen.

Bei einer Sandbank, die sich für eine kurze Rast anbietet, habe ich ein Erlebnis der besonderen Art. Ich fahre mit dem Bug auf die Sandbank auf und steige ins flache Wasser aus. Doch es gibt keinen Boden! Der Sand gibt nach und ich versinke bis zu den Hüften. Wahrscheinlich wäre das noch weiter gegangen. Panisch stemme ich mich am Boot hoch und es gelingt mir, mich wieder herauszuziehen. Ist das Treibsand? In der Folge teste ich bei Sandstränden vor dem Aussteigen immer mit dem Paddel, wie weit der Boden unter dem Wasser nachgibt und ob er überhaupt trägt. Wer reist, macht nützliche Erfahrungen!

Ich campe bei Stromkilometer 268, nach 67 Tageskilometern. Gesamt bin ich bereits 216 Kilometer unterwegs. Laut GPS beträgt mein Schnitt in Fahrt 8,1 km/h und der Gesamtreiseschnitt, ohne die Übernachtungscamps, 6,3 km/h. Am Abend spült mir die Bugwelle der stromabwärts vorbeiziehenden A'Rosa fast mein Boot weg. Um 19.00 Uhr kommt eine Kuhherde vorbei und beschnuppert Boot und Zelt, während ich gerade das Ö1 Abendjournal auf Kurzwelle höre.


Sonntag, 25. 5.

Heute bin ich um 6.15 Uhr aufgebrochen. Schönes Wetter. Später passiere ich die Brücke „Vadu Oii”, wo auf der linken Stromseite in einem inzwischen aufgelassenen Friedhof eine Tante, die Schwester meiner Mutter, begraben ist, die Anfang der 50-er Jahre wegen ihrer Zugehörigkeit zur deutschsprachigen Minderheit in Rumänien in die Baragansteppe verschleppt worden war. Dann fahre ich an Stancuța vorbei, wo Mari, die Frau, bei der ich in Comloșu Mic gewohnt habe, während ihrer Verschleppung gelebt hat.

Abends habe ich 10 km nach einem Zeltplatz gesucht. Immer wenn ich geglaubt habe, einen geeigneten Platz ausgemacht zu haben, war der entweder belegt (weil Sonntag?) oder wegen endloser Schlammstreifen etc. nicht begehbar. Schließlich habe ich einen einigermaßen annehmbaren Platz gefunden. Er liegt etwa fünf Kilometer abseits von einem Roma-Lager. Es gibt viele freilaufende Pferde. Heute haben mich einige Male Leute freundlich gegrüßt. Meistens wurde ich aber „nicht einmal ignoriert”. Ich bin „streichfähig”, als ich mein Lager nach 61 Tageskilometern um 16.45 Uhr bei Stromkilometer 207 aufschlage. Ein größeres Gewitter ist im Anzug. Super, dass das Zelt schon steht.

Laut GPS bin ich bisher 275 Kilometer gefahren. 34,5 Stunden Fahrt und 9,29 Stunden Rast (ohne Übernachtungscamps). Schnitt in Fahrt: 7,9 km/h.

Montag, 26. 5.

Heute bin ich um 6.30 Uhr aufgebrochen. Starker Wind. Um 9.00 Uhr habe ich eine Art Hafen gefunden, in den ich wegen der hohen Wellen einfahre. Es ist sonnig. Ich sehe eine Schafherde mit Hunden. Am Ufer nütze ich die Zeit für ein spätes Frühstück und zum Akku-Aufladen in der Sonne. Ich warte auf ein Abflauen des Windes. Zwangspause. Heute Früh habe ich beim Rausgehen aus dem Zelt eine Pferdeherde hinter dem Zelt aufgescheucht. In meinem „Hafen” ist ein Pumpwerk für eine Bewässerungsanlage. Arbeiter haben gerade die Motoren angeworfen. Daneben grasen Pferde. Die Pumpwerkarbeiter schauen misstrauisch zu mir herüber. Ich grüße. Einer grüßt zurück, steigt schließlich in ein Ruderboot und hält auf mich zu. Er fragt mich woher ich komme und zeigt mir auf meiner Karte, wo er zu Hause ist. Er fährt zurück und kommt mit einem Ausweis, damit ich seine Adresse abschreiben kann. Ich mache einige Fotos von ihm, die ich ihm zuschicken werde. Er ist geschieden und erzieht ein Kind von sechs Jahren. Seine Exfrau ist nach Italien gegangen.

Um ca. 10.00 Uhr entscheide ich mich dafür, den Kampf mit dem Wind wieder aufzunehmen. Ich habe den ganzen Tag Gegenwind. Gegenüber der Werft von Brăila entdecke ich am rechten Ufer eine Wiese und beschließe zu campen. GPS-Daten: 309 km gesamt, 33,91 heute gefahren. Strom km. ca. 175. Erstes Camp ohne Schlammzugang bzw. ohne feuchten Sandboden für mein Zelt.

Dienstag, 27. 5.

Heute bin ich 53 Kilometer gefahren. Nahe der Grenze zur Ukraine kommt die rumänische Grenzpolizei auf mich zu, aber schneidet mir nicht den Weg ab, sondern dreht höflich bei und macht Passkontrolle. Die Polizisten schreiben meine Daten in ein Buch.

Als ich heute um um 6.15 Uhr abgefahren bin, war es bis ca. 11.00 Uhr sehr kalt. Dann ist die Sonne durchgekommen. Heute bin ich an zwei großen Städten mit Werften vorbeigefahren: Brăila und Galați. Dann habe ich einen schönen Zeltplatz gefunden. Heller, ganz feiner Sand. Gebadet, Haare gewaschen, Rasur. Fühle mich wie ein neuer Mensch, als ich in Badehose im kühlen Schatten sitze. Heute hat es viele freundliche Begrüßungen gegeben. Ein Fischer wollte mir sogar einen Fisch schenken! Eindrucksvoll sind die Hochseeschiffe seit Brăila. Mein Boot habe ich wegen großer Wellen weit herausgezogen. Gesamtkilometer bisher 362. Ein Österreichisches Schiff, die Partenstein, fährt vorbei.

Mittwoch, 28. 5.

Ich habe sehr gut geschlafen und bin um 5.30 Uhr aufgebrochen. Anfangs gab es Sonne, dann nur mehr bedeckten Himmel. Nochmal Kontrolle durch Grenzpolizei. Ich muss meinen Pass nicht mehr herzeigen und darf mich selber in ihr Buch eintragen. Sehr freundliche und höfliche Leute.

Vor Tulcea unterliege ich einem Irrtum, der sich schlecht hätte auswirken können. Ich glaube nämlich, nach dem Leuchtturm in den Sulinaarm abbiegen zu müssen. Richtig wäre aber vorher gewesen. Ein weiterer Grenzpolizist kommt mit einem Boot auf mich zu und weist mich auf den Irrtum hin. Dann kommandiert er mich an den stärksten Wirbeln, die ich gerade durchfahren hatte, vorbei in die richtige Richtung. Zehn Minuten Schwerarbeit gegen die Strömung und durch starke Wirbel hindurch erwarten mich. Dann bin ich durch und "auf den richtigen Weg gebracht".

Tulcea ist eine relativ große Stadt. Ich finde auch gegenüber kaum eine Möglichkeit, mein Zelt aufzuschlagen. Nach der rechts liegenden Stadt Tulcea fahre ich ans linke Ufer, weil schwarze Wolken aufziehen. Zwei Fischer, die ich dort treffe, sind auch der Meinung, dass es bald Regen geben wird. Ich schlage mein Zelt auf und räume meine Sachen vom Boot ins Zelt herüber. In der Minute, in der ich damit fertig bin, und die Persenning auf dem Boot aufgezogen ist, beginnt es zu schütten. Glück gehabt.

Heute bin ich 53 Kilometer gefahren. Gesamtkilometer: 415. Es ist jetzt 13.45 Uhr. Mein Zeltplatz ist eine bessere Müllkippe, aber bei diesem Wetter wesentlich besser als nichts.

Donnerstag, 29. 5.

Die ganze Nacht war Sturm. Teilweise auch Regen. Um 7.00 Uhr weht immer noch ein starker Wind, aber die Sonne kommt heraus. Ich denke, ich werde weiterfahren.

Das Wetter hat sich gebessert. Die Einfahrt in den Sulinaarm schaut mickrig aus. Der Arm ist immer so um die 100 Meter breit. Ich fahre an schönen, beschaulichen Dörfern vorbei. Es gibt regen Boots- und Schiffsverkehr. Tragflügelboote machen große Wellen, sind aber kein Problem für mein Boot. Trotz eines GPS-Eintrags kann ich die Einfahrt in Richtung "Mila 23" nicht finden. Dafür entdecke ich ein Stück weiter einen traumhaften Zeltplatz. Ich wasche mich, mein Hemd, meine Unter- und meine Badehosen.

Gesamtkilometer 451. Heute: 37 km gefahren.

Freitag 30. 5.

Abfahrt um 6.00 Uhr. Herrlicher Tag. Ich treffe zu Mittag in Sulina ein. Gesamte Fahrt: 485 Kilometer. Zeit in Bewegung 64,48 Stunden, Rastzeit (ohne Camps) 15 Stunden und 16 Minuten. Schnitt in Bewegung 7,5 km/h. Gesamtschnitt 6,1 km/h.

In Sulina gibt es kaum Anlegeplätze. Zum Teil liegen hier Boote in mehreren Reihen nebeneinander. Nach langer Suche finde ich eine Stiege ungefähr auf Höhe des alten Leuchtturms bei Mila zero. Ein Bub hilft mir das Boot rauszuziehen. Ein junger Polizist spricht mich an und rät mir, die Sachen nicht unbeaufsichtigt zu lassen. Er steht dabei, als ich das Boot zerlege. Er spricht Englisch, wie sein Bruder, der in London arbeitet und momentan hier auf Urlaub ist. Ich frage ihn, ob ich mein Gepäck bei ihm lassen könnte, bis ich mein Auto nach Tulcea geholt habe. Er ist einverstanden. Als er mich am Nachmittag beim Hotel abholt, erkenne ich ihn nicht, denn statt eines Uniformierten steht vor mir ein junger Mann mit Sonnenbrille in Freizeitkleidung. Nachmittags fährt er mich mit seinem Motorrad an den Strand und zum alten Leuchtturm, wo ich ein Ehepaar besuchen will, dem ich ein kleines Paket von Peter bringe, einem Freund aus Österreich, der dieses Ehepaar 20 Jahre zuvor bei einer Paddelfahrt Österreich - Schwarzes Meer kennengelernt hat. Er hatte damals sein Zelt in der Nähe des Hauses dieser Familie aufgeschlagen und litt fürchterlich an einer Fischvergiftung. Das Ehepaar kümmerte sich rührend um ihn und pflegte ihn gesund. Wie mir mein Freund von der Polizei schon zuvor erzählt hatte, ist der Mann leider voriges Jahr verstorben. Ich übergebe der Witwe das kleine Paket und erzähle ihr von Peter. Ich lasse ihr auch ein Foto zurück, das Peter damals vom Ehepaar und sich selber geschossen hat. Er hat es mir vor allem mitgegeben, damit ich mich vor den Leuten "ausweisen" kann, wenn ich so unerwartet auftauche. Anschließend mache ich mit meinem Freund einen Besuch beim alten Leuchtturm, der jetzt ein Museum ist, dann folgt eine Fahrt zum Wasserturm. Das Trinkwasser für Sulina kommt aus der Donau und wird aufwändig aufbereitet. Auf der Motorradfahrt grüßt der Polizist ununterbrochen nach links und rechts. Er ist hier aufgewachsen und kennt alle und jeden. Eimal war er fünf Jahre weg, hat aber immer in Rumänien gelebt. Sulina hat 5000 Einwohner. Die Straßen im Ort sind bis auf die eine Straße entlang des Kais ziemlich mies. Auch zur Außenwelt gibt es keine Straßen- oder Bahnverbindung. Man ist auf das Schiff angewiesen. Mein Tragflügelboot nach Tulcea geht morgen um 7.00 Uhr. Der Polizist gibt mir seine Handynummer und seine E-Mailadresse. Ich gebe die Daten via sms an meine Frau weiter. Im Fall, dass mir auf der Fahrt zu meinem Auto etwas zustoßen sollte, ist es nicht schlecht, wenn sie weiß, wo Boot und Ausrüstung liegen. Abends lade ich meinen neuen Freund auf ein Abendessen ein und wir plaudern ein bisschen.


Ich werde ihn eine Woche später wiedersehen, nachdem ich nächsten Tag in der Früh mit dem Tragflügelboot nach Tulcea und von dort mit dem Bus nach Bukarest gelangt bin. Mein Gepäck besteht dabei nur aus meinem kleinen Rucksack mit Dokumenten, Reserveunterwäsche und Toilettsachen. Ich verbringe ein paar Tage in einem Hotel in Bukarest und bewege mich dann, wieder per Bus, nach Giurgiu weiter. Nach einigem Suchen finde ich das Haus, in dessen Garten mein Auto steht, wieder. Die Besitzerin ist erstaunt, dass ich schon so früh zurück bin. Ich bekomme den Schlüssel und man entlässt mich schließlich auf meine weitere Reise durch Rumänien, diesmal statt auf Kiel, auf Rädern.

Jetzt habe ich zwar mein Auto wieder, aber mein Boot mit Gepäck ist immer noch in Sulina. Daher führt mich mein Weg zunächst durch eine wunderschöne Landschaft in Richtung Nordost. Besonders gefallen mir die Durchfahrten durch Dörfer, in denen die Zeit stehengeblieben zu sein scheint, so wie ich das bereits auf meiner Fahrt nach Giurgiu erlebt habe.


Mein Weg führt mich unter anderem nach Fundata, einem winzigen Ort bei Slobozia, wo man ein kleines Denkmal für die vielen Menschen aus rumänischen Minderheiten errichtet hat, die in den 50-er Jahren als Arbeitssklaven in die Baragansteppe verschleppt worden sind. Dort gedenke ich meiner Tante, die in der Nähe des Vadu Oii begraben liegt, einem Ort, den ich bereits mit dem Boot besucht habe. Ich gedenke auch anderer Verwandter, die hier unfreiwillig gelebt und geschuftet hatten, aber nach fünf Jahren wieder in ihre angestammte Heimat im Westen Rumäniens zurück durften. Viele davon hatte man bereits vorher in die Sowjetunion deportiert gehabt, wo sie - quasi als Reparationszahlung für den von Deutschland verursachten Krieg - fünf Jahre in Arbeitslagern interniert waren. Sie waren die Opfer einer Zeit, die Gott sei Dank lange vorbei ist. Trotzdem ist es wichtig, sie nicht zu vergessen.


Nach diesem Rückblick auf einen unschönen Teil der jüngsten Geschichte Rumäniens, geht es gemächlich weiter nach Tulcea. Dort endet die Straße nach Sulina in den Sümpfen des Donaudeltas. Ich nehme mir für zwei Tage ein Hotelzimmer, lasse mein Auto am Hotelparkplatz stehen und fahre noch am selben Tag mit einem Linienschiff, einem Katamaran, weiter nach Sulina. Meinen Freund habe ich bereits über sms verständigt, dass ich mein Boot mit Ausrüstung gerne wieder hätte. Er erwartet mich bei meiner Ankunft bereits und wir gehen wieder zusammen essen. Dann schlendere ich noch durch die Straßen Sulinas und genieße das verträumte Leben dieses Städtchens, das vor dem Aufstieg Constanțas, einer Stadt, die durch einen Abkürzungskanal auf Höhe von Bukarest die Donau schon lange vor dem Delta mit dem Schwarzen Meer verbindet, ein wichtiger, mulitkultureller Umschlagplatz gewesen war. Es gab hier zwar keine Straßen und keine Bahn ins Landesinnere, aber dafür konnten die Hochseeschiffe direkt bis zu den Häfen nach Brăilla gelangen. Das ist auch der Grund, warum die Kilometerangaben ab Brăila von Angaben in Seemeilen abgelöst werden. Ende ist "Mila zero", Meile null, in Sulina. Mila zero liegt heute allerdings bereits weit im Landesinneren, da die Donau andauernd große Mengen neuen Landes anschwemmt. Wie mir gesagt wurde, zählt man ab Mila zero mit "minus" bis zur eigentlichen Mündung weiter, also "Meile minus eins" usw. Wieviel Land hier angeschwemmt wird, ist vor allem an den alten Leuchttürmen zu erkennen, die früher die Mündung ins Meer angezeigt haben. Es gibt eine ganze Menge davon.

Am nächsten Morgen geht es auf dem Katamaran mit meinem zerlegten Boot wieder zurück nach Tulcea. An der Anlegestelle des Katamarans miete ich mir ein Taxi, das mich mit meinem Schwergepäck zum Hotel bringt. Dort verpacke ich Boot und Ausrüstung in mein Auto. Jetzt sind wir wieder alle drei vereint: Boot, Auto und ich. Und es war gar nicht so kompliziert wie es vielleicht klingen mag: Zunächst Auto, Boot und ich bis Giurgiu, dann Boot und ich nach Sulina, dann nur ich über Bukarest wieder zurück nach Giurgiu, dann Auto und ich nach Tulcea, von dort nur ich nach Sulina, anschließend Boot und ich zurück nach Tulcea, wo ich und das Boot wieder mit dem Auto zusammentreffen, damit es ohne weitere Verpflichtungen ins Blaue losgehen kann.


Damit beginnt eine weitere Reise durch Rumänien, die mich zu wichtigen Städten, wie Brașov und Sibiu bringt, bei der ich die Karpaten gleich mehrmals, einmal von Ost nach West, dann von Nord nach Süd und schließlich wieder von Süd nach Nord überquere, bevor ich mich wieder nach Westen, in Richtung der Heimat meiner Vorfahren bewege, in das Dreiländereck Rumänien/Serbien/Ungarn. Dort wohne ich auch diesmal bei der Freundin meiner Mutter, besuche einige Bekannte und mache mich schließlich wieder auf den Weg durch Ungarn nach Hause.


Es war eine interessante Erfahrung, die Heimat meiner Vorfahren und die dort lebenden Menschen zuerst auf dem Strom und dann auf den Straßen kennen zu lernen.


Fotos von dieser Reise sind unter folgenden Links zu finden:

Donaureise Giurgiu - Sulina 2008
http://www.flickr.com/photos/rainer_remsing/sets/72157605736216367/
Rumänienreise 2008
http://www.flickr.com/photos/rainer_remsing/sets/72157605764168948/
Das Dorf "Ostern" (Comloșu Mic) im Banat
http://www.flickr.com/photos/rainer_remsing/sets/72157605748249375/

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