20100824

Drei-Mann-Kajak-Genussfahrt

Donauerlebnisse im Kajak von Linz nach Tulln

Die Idee war von Erwin. Sie wurde im Winter geboren: „Wir sollten mal eine gemütliche mehrtägige Kajak-Reise auf der Donau machen.“ Angebissen haben Erich, Gerald und ich. Als es soweit war, bekam Erich massive Probleme mit einem Knie, worauf es statt einer Vier-Mann-Genusstour zu einer solchen für drei Mann gekommen ist. 

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Mittwoch war der Stichtag. Ich setze schon in Wilhering bei Stromkilometer 2145 ein, weil ich Gerald von Puchenau aus bis zum Treffpunkt mit Erwin in Linz begleiten will. Da sehr hoher Wasserstand ist, der alle Schotterbänke verschwinden hat lassen, übersehe ich ihn fast. Dann schaukeln wir aber doch gemeinsam nach Linz. Beim vereinbarten Treffpunkt zwischen Eisenbahn- und Vöest-Brücke, bei Stromkilometer 2133,7 sitzt Erwin schon im Boot und seine Frau schießt noch ein paar Erinnerungsfotos von ihm, weil sie nicht sicher ist, ob sie diesen Mann auf seinem schaukelnden Zahnstocher jemals wiedersehen wird. Ihren Arbeitskolleginnen schildert sie die Abfahrtsszene aber wie folgt: „Die zischen ab wie junge Hunde, wenn man sie von der Leine lässt!“.
Als der Abschiedsschmerz bei Erwin etwas abgeklungen ist, beginnt die Genusstour, die uns am ersten Tag nach Grein führt, wo wir um sieben Uhr abends ankommen. Wir ziehen zunächst am Vöest-Stahlwerk vorbei, kommen zur Traunmündung und dann linksseitig zu unserer ersten Umsetzanlage Abwinden-Asten.

Gemeinsam meistern wir die Über- windung des Niveau- unter- schiedes zwischen vor und nach dem Kraftwerk und freuen uns, dass das Wasser unten wieder ordentlich fließt. Wir passieren Mauthausen, sehen die Enns von rechts hereinfließen, machen mal eine kurze Essenspause und paddeln fleißig dahin, weil wir uns für heute Grein als Etappenziel vorgenommen haben und dazwischen liegt immerhin noch das Kraftwerk Wallsee-Mitterkirchen, mit dem davor liegenden Stauraum und dem fünf Kilometer langen (entspricht gefühlten zehn Kilometern), strömungslosen Altarm. Weil's schon spät wird, setzt sich Erwin an die Spitze und „zieht“ eine Weile, damit kein Schlendrian einreißt. Als wir unter der Donaubrücke zwei Kilometer vor Grein, das auf Stromkilometer 2079 liegt, durchfahren, keimt Hoffnung auf, dass das die letzten Stunden von uns imaginierte Bier nicht mehr weit entfernt sein dürfte. Bei 2079,5 schwenken wir elegant in den Greiner Bootshafen und machen uns anschließend auf die Suche nach dem Campingplatz. Der ist nicht sehr bootsfreundlich angelegt. Wir fahren mit unseren Booten auf Rädern gewissermaßen mit der Kirche ums Kreuz, eräugen aber schließlich den Eingangsschranken, den wir mit unseren Booten glatt und unkompliziert unterfahren. Gerald wird zum „Papa“ erklärt, der für uns Kinder die Anmeldefomalitäten an der Rezeption erledigt und auch die Gebühr vorschießt. Diese Rolle behält er trotz Widerstandes seinerseits bis zum Schluss bei. Dann kommt Zeltaufbau. Gerald hat ein Zelt, das er einfach auf den Rasen wirft und das sich nach einigem Winden und drehen wie ein Wurm von selber aufstellt. Ich staune. Nach diesem Erlebnis kommt eine gemeinsame Gasthaussuche, dann Seidel*), Seidel, Seidel und Abendessen. Als Schwerarbeiter benötigen wir Kalorien.
*) Übersetzung für Leser aus Deutschland: Seidel

Donnerstag. Nachts regnet es. Ich schlafe schlecht und gehe daher schon um fünf Uhr dreißig zur Körperpflege in die Sanitäranlage. Vorteil: noch kein Gedränge. Als wir uns später aus unseren Zelten schälen, sind diese nass. Alle haben nicht besonders gut geschlafen, was hauptsächlich am Straßenlärm gelegen ist. Wir beschließen, in den Markt essen zu gehen. Erstens haben wir Hunger und zweitens sollen die Zelte abtrocknen, bevor wir sie einpacken. Es wird ein gemütliches, ausgedehntes Frühstück. Ergebnis: Wir satt und die Zelte trocken. Gerald entdeckt, dass sich sein Zelt zwar von selber aufstellt, aber nicht auf Knopfdruck zusammenlegt. Er wirft sich mit vollem Körpereinsatz ins Geschäft, ist aber der Letzte, der die Verpackung schließt. Um elf Uhr haben wir die Boote wieder im Wasser und sausen rechts an einer Insel vorbei über Struden und St. Nikola in Richtung Ybbs.

Weil wir gestern fleißig waren, beschließen wir heute faul zu sein. Immer wieder lassen wir uns treiben und unser Tagesziel stecken wir uns kurz. Oder eigentlich überhaupt nicht. Wir schauen mal, wo wir angeschwemmt werden. Das Kraftwerk Ybbs-Persenbeug zieht uns aber dann den Zahn. Die Umsetzanlage dort ist eine Problem-Umsetzanlage. Anscheinend nicht nur für uns, denn beim Zerlegen meines Faltbootes in Tulln werde ich von einem Herrn angesprochen, der sich auch als Faltbootfahrer zu erkennen gibt. Was er wissen will: „Hat sich bei der Umsetzanlage in Ybbs schon was verändert?“ Man war dort nicht fähig, die Lage der Umsetzanlage vorher auszuschildern (Beispiel: Sportboot-Umsetzanlage in 500 m). Wir finden sie in langsamer Fahrt rechts unmittelbar vor der Staumauer. Es gibt keine Rampe zum Herausziehen der Boote. Man muss sie auf eine Kunststoffplattform heben und dann zu zweit zwei Meter über eine Brücke auf den Betonweg hieven. Nach langem Marsch kommen wir an eine Stufenanlage, wo die Boote hinuntergetragen werden müssen. Wahrscheinlich ein Test für Alleinfahrer, wie man Schwierigkeiten meistert, ohne durchzudrehen. Bei Booten mit Reisegepäck für mehrere Tage ist es auch im Verband einer Gruppe ziemlich lustig. Wir verfluchen sowohl den Erbauer, als auch den Betreiber der Anlage bis in die sechste Generation und darüber hinaus. Also nicht ganz, aber beinahe.

Von Stromkilometer 2059 bis 2054 fahren wir um die Ybbser Scheibe und finden dann kurz vor Marbach linksseitig bei 2050 auf der Suche nach einem Campingplatz einen Bootshafen, wo uns ein freundlicher Restaurantbesitzer Auskunft gibt. Der Campingplatz gefällt uns nicht, weil er so wie der letzte an einer Straße liegt und wir keine zweite laute Nacht haben wollen. Der Restaurantbesitzer erweist sich als Engel. Er organisiert Zimmer in einer Pension, bringt uns mit dem eigenen Auto hin und holt uns am nächsten Morgen auch dort wieder ab. Darüber hinaus sorgt er für die sichere Unterbringung unserer Boote. Wir freuen uns und watscheln, jeder mit drei wasserdichten Bootssäcken unter den Armen, in die Pension. Es folgen Dusche und Restaurantbesuch, wo wir unsere akute Austrocknung medizinisch behandeln.

 Freitag. Gut geschlafen, gut gelaunt. Wir werden mit dem Auto zu den Booten befördert, bepacken diese kunst- gerecht und schon wieder sind wir am Wasser. Rechts zieht Pöchlarn, links Klein-Pöchlarn vorbei, es folgen Augebiete und dann taucht das Kraftwerk Melk in der Ferne auf. Sehr schöner Altarm. Pause. Jause. Die Weiterfahrt bringt uns die Erkenntnis, dass es Kraftwerke gibt, wo man zweimal übertragen muss. Am Ende des Altarmes ist eine kleine Wehr und die Übertragungsprozedur ist ein zweites Mal vorzunehmen. Wäre nicht so schlimm, wenn die Ausfahrtsrampe nicht völlig mit vermoderndem Astwerk verstopft wäre. Es stinkt. Erwin und ich räumen die Rampe mit Todesverachtung. Im Unterwasser angekommen, sehen wir das Stift Melk in voller Pracht. Links kommt Emmersdorf, dann die große Straßenbrücke bei 2034,5. Zweieinhalb Kilometer weiter liegt auf der rechten Seite Schönbühel. Von der Donau aus gesehen weiß man, warum es so heißt. Auenlandschaft. Aggsbach Markt. Links Willendorf, der Fundort der berühmten 25.000 Jahre alten Venus. Bei Schwallenbach sprudelt und brodelt das Wasser von unten, was den Verdacht aufkeimen lässt, dass der Name der Ortschaft nicht bloß gut erfunden ist. Nach einer Rechtskurve, kommt links Spitz. Diesen Ort haben wir in demokratischer Abstimmung zu unserem heutigen Nächtigungsort erkoren. Wir fahren die ganze Ortslänge ab. Starke Strömung und keine vernünftige Stelle zum Anlegen. Am Ortsende ist ein Bootshafen. Wir retten uns hinein, legen an der Slipanlage an und gehen fragen, ob wir das eigentlich dürfen. Auch dieser Chef ist ein netter. Wir dürfen die Boote in der Slipanlage liegen lassen und bekommen einen Schlüssel für das Gatter. Keine Kaution, nur mein Name wird verlangt. Als die Hausgäste auf der Terrasse des Bootsclubs mitbekommen, dass wir Zimmer suchen, beginnt sofort ein heftiges Telefonieren mit den Handys. Ergebnis: Wir werden im Hotel Mariandl, gleichzeitig Gunther Phillipp Museum und nur 500 Meter entfernt, untergebracht. Hier haben seinerzeit die Schauspieler der Wachau-Filme gedreht und geschlafen. Das Hotel ist gepflegt, dürfte sich aber seit der Zeit Hans Mosers nicht wesentlich verändert haben. Nach Dusche und einer halben Stunde Rast drehen wir eine Ortsrunde um den Tausendeimerberg, kehren bei einem Heurigen ein und genießen die original Wachauer Angebote. Diesmal rinnt einiges an gutem Wein durch unsere Kehlen. Natürlich gerade so wenig, dass wir noch aufrechten Ganges und ohne zu schwanken durch dunkle Gassen zum Hotel zurückfinden. Mit dem Schlussachterl im Hotel wird es nichts, weil um zehn Sperrstunde ist. Auch gut. Geh'n wir schlafen. Wer weiß, wozu es gut ist.


Samstag. Herrliches Frühstücksbuffet. Dann pilgern wir mit den Bootssäcken zurück zum Hafen, schließen das Tor mit unserem eigenen Schlüssel auf, liefern diesen ab und schon sind wir wieder auf der Donau. So wie gestern ist auch heute ein schöner Sonnentag. Links kommt Weißenkirchen, dann Dürnstein.

An Dürnstein vorbei lassen wir uns mit dem Heck nach vorne treiben, weil wir uns an dem maler- ischen Ort mit der blauen Kirche und der Burgruine kaum sattsehen können. Ähnlich geht es uns ein paar Kilometer weiter in Krems. Ja und dann haben wir ein anderes, sehr dringendes Bedürfnis. Der Mensch braucht manchmal eine Pinkelpause. Hoffnungsfroh fahren wir bei Stromkilometer 2000 links in den Yachthafen ein. Es ist der abweisendste Platz des Universums. Alles ist verboten und man kann mit Sportbooten auch nicht wirklich anlegen. Kein Mensch grüßt. Man will unter sich bleiben. Man darf. Wir verlassen diesen schrecklichen Ort. Es folgt ein Feuerwehrfest mit Zillenübungen. Auch hier sind wir offensichtlich nicht willkommen. Aber dann: 500 Meter weiter findet Erwin auf der rechten Seite den freundlichen Hafen für Segelboote.

Hier können wir unsere Bedürfnisse stillen. Essen, rasten u.s.w. Hier machen wir auch unsere Pläne für die zweite Hälfte des heutigen Tages und den Sonntag. Wir entschließen uns, heute Zwentendorf anzulaufen, was 45 Tageskilometer bedeutet und für morgen eine Leicht-Etappe von 15 Kilomentern vorzusehen, damit wir bereits am Nachmittag von Tulln aus die Heimreise antreten können. Alle informieren daraufhin telefonisch die netten Ehepartner bzw. Angehörigen, die uns abholen wollen. Dann geht’s ab nach Zwentendorf. Tja, da wäre nur noch die Kleinigkeit des Krafwerkes Altenwörth mit seinem Rückstau, seiner linksseitigen Umsetzanlage, dem langen Altarmsee und dem Wehr am Ende, das wieder ein zweites Umtragen erfordert. Sportbootfahren heißt eben auch leiden. Nach den Mühen dieses Tages freuen wir uns auf die Rast in Zwentendorf. Wir legen an einer Schotterbank an und ich werde ausgeschickt um eine Nächtigungsmöglichkeit zu erkunden. Nach einer halben Stunde komme ich mit einer freudigen Botschaft zurück. Ich habe in einem guten Hotel drei Zimmer reserviert. Und das Ganze ist nur 300 Meter weg. Inzwischen haben Gerald und Erwin auch eine Stelle entdeckt, von der man die Boote zu einer Straße tragen kann, um sie dann auf unseren Bootswagen zum gewünschten Ziel zu ziehen. Wir treideln die Boot zu dieser Stelle, schleppen sie auf Straßenniveau und stehen kurz darauf vor dem Rathaus, das sich auf unserem Weg zum Hotel befindet. Gerald schlägt ein Foto vor: Wir vor dem Rathaus, davor unsere beräderten Boote. Erwin überredet einen vorbeikommenden jungen Tschechen auf Englisch uns zu fotografieren. Es gelingt.


Beim Hotel dürfen wir die Boote auf einem Rasenstreifen hinter einer versperrbaren Gartentür parken. Gewonnen. Dusche, Seidel, Ortsspaziergang, Wirtshausessen, Seidel, Achterl, Achterl, Achterl. Man ist erstens durstig und befindet sich zweitens auf einer Genusstour. Zum Schluss versprechen wir uns noch gegenseitig, uns morgen Früh nicht zu rasieren, damit wir uns unseren Angehörigen zu Hause so präsentieren können, wie man sich verwegene Abenteurer, die fünf Tage in der Wildnis verbracht haben, gemeinhin vorstellt.


Sonntag. Halb acht Uhr früh. Frühstücksbuffet. Wir alle sind unrasiert. Abfahrt um 9. Heißer Tag. Was tut man, wenn man nur 15 km zu fahren hat, aber nicht zu früh ankommen will? Teilweise wird dieses Vorhaben durch die Tullner Motorbootfahrer unterstützt. Es sind nicht wenige und sie scheinen alle irgend einen Gen-Defekt zu haben. Jedenfalls fahren sie so. Ausnahmslos knallen sie mit irrer Geschwindigkeit so eng wie möglich an unseren Kajaks vorbei. Zusammen mit den zahlreichen Ausflugsschiffen sorgen sie für eine ordentlich aufgesprudelte Donau, die uns natürlich trotzdem nicht so lange aufhält, dass wir nicht schon um halb elf im wunderschönen Gästehafen der gepflegten und freundlichen Stadt Tulln ankommen würden. Der Gästehafen liegt ca. einen Kilometer hinter der beeindruckend schönen Straßenbrücke und noch vor der Eisenbahnbrücke. Wir ziehen die Boote über die Rampe auf eine üppige Rasenfläche.

Erwin und Gerald haben's gut: Während ich mein Faltboot zerlege und trockne, versehen sie ihre Hart- schalen-Kajaks nur mit einer Persenning und werfen sich ins sonntägliche Stadtgetümmel. Dafür kann ich mein Boot im Kofferraum transportieren und anschließend in einem Fach in meinem Kellerregal parken. Eineinhalb Stunden später ist mein Faltboot samt prallen Bootssäcken bereits fest auf meinem zum Transportkarren umgebauten Aluminium-Bootswagen verzurrt und meine Frau taucht schon im Stadtpark auf. Ich stelle ihr meine beiden zerlumpten und unrasierten Abenteuerkumpanen vor. Man begrüßt sich und weil meine Freunde freundliche Leute sind, helfen sie uns beim Transport meines jetzt zum schnöden Gepäck verkommenen, einst stolzen Bootes, zum Auto. Ein letzter Händedruck und eine Drei-Mann-Kajak-Genusstour ist zu Ende. Aber nicht für immer! Erwin droht damit, sie zur Institution zu machen und jährlich zu wiederholen.

Und noch was: Natürlich haben wir unseren zu Hause gebliebenen vierten Mann, Erich, täglich abends über die Geschehnisse des Tages informiert. So war auch er irgendwie dabei und kann sich schon jetzt auf die ungeheuerlichen Strapazen einer solchen Donau-Kajak-Genusstour im nächsten Jahr einstellen.